Erwin Schulhoff – Gefangener der Festung Wülzburg

Die Festung Wülzburg, gelegen auf etwa 634 m über dem Meeresspiegel auf einer der höchsten Bergkuppen im Mittelfränkischen, im Naturpark Altmühltal nahe der Stadt Weißenburg.

Eine große steinerne Anlage, ein Bollwerk gegen Angriffe. Gebaut, um den Menschen Schutz zu gewähren, als Zufluchtsort, wenn feindliche Heere die Dörfer und Städte belagern und verwüsten. Eine Stein gewordene Imagination von Sicherheit.

Eine Festung ist aber noch mehr, denn wo niemand hineinkommt, kommt auch niemand wieder raus. Somit ein ideales Gefängnis; das Wort Festung war lange Zeit gleichbedeutend mit Haft.

Vieles verbindet man mit diesem Wort: Schutz, Krieg, Gefängnis. Vor allem einen Ort, an dem Menschen gelitten haben, an dem sie kaserniert oder eingekerkert wurden, an dem sie gestorben sind.

Festung Wülzburg. Foto: Tilman2007 (Eigenes Werk) [GFDL CC BY-SA 4.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)], via Wikimedia Commons
Festung Wülzburg. Foto: Tilman2007 (Eigenes Werk) [GFDL CC BY-SA 4.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)], via Wikimedia Commons

Während des 1. Weltkriegs diente die Wülzburg als Kriegsgefangenenlager. Der berühmteste Häftling war  der französische Hauptmann Charles de Gaulle, der spätere Präsident Frankreichs.

 

Im 2. Weltkrieg wurde die Wülzburg zum Internierungslager. Hier wurde der jüdische Komponist Erwin Schulhoff gefangen gehalten.

Das Leben des Erwin Schulhoff

Schulhoffs Biografie ist durchzogen von den Brüchen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er war ein vielseitiger Komponist, der die Strömungen seiner Zeit aufnahm: Dada, Jazz, politisch engagierte Musik.

Geboren wurde Erwin Schulhoff 1894 in Prag. Schon früh erhielt der hochbegabte Junge Klavierunterricht. Bereits mit 14 Jahren wurde er Student an der Leipziger Musikhochschule, in den Fächern Klavier und Komposition. Ab 1910 trat er als Pianist auf. Nach dem 1. Weltkrieg, den er als Soldat mitmachte, zog er nach Dresden und kam hier in Kontakt mit den Dadaisten, mit Künstlern wie George Grosz und Otto Dix.

Schulhoff gelang als Komponist nie der ganz große Durchbruch, seine größten Erfolge hatte er als Pianist, vor allem als Interpret zeitgenössischer Musik.

Schulhoffs Versuche, sich als Komponist und Lehrer in Deutschland durchzusetzen, scheiterten. Daher kehrte er 1923 nach Prag zurück. Aber auch hier hatte er Schwierigkeiten, Arbeit zu finden. In den 1930er Jahren wurde das Leben für Schulhoff immer schwieriger. Depressionen, die Scheidung von seiner ersten Frau, Krankheiten und der fehlende Erfolg seiner Kompositionen setzten ihm zu. All das veränderte seine ästhetischen Positionen grundlegend. 

"Ich schreibe heute keine noten mehr wie vorher, keine zeitgenössische musik der internationalen schablone wie einst, keine formalistischen spielereien oder klangtändeleien. Meine musik ist nicht versonnen, sie enthält keine dekadenten lyrismen und hysterischen ausbrüche. Sie ist hart geworden, unerbittlich und kompromisslos!" [Bek, Josef: Erwin Schulhoff. Hamburg 1994.]

In seiner 2. Symphonie, geschrieben im Jahr 1932, sind zum letzten Mal Anklänge an den Jazz zu hören. Schulhoff hatte sehr früh damit begonnen, Jazz-Elemente zu verwenden, nun bekam seine Musik ein anderes Gesicht.

Er beschäftigte sich mit dem Marxismus und vertonte das Kommunistische Manifest; schrieb Arbeiterlieder und Schlager. Schließlich wurde er Rundfunkpianist in Mährisch-Ostrau. Mit der Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren 1939 traten in der Tschechoslowakei die Nürnberger Rassegesetze der Nationalsozialisten in Kraft und der Jude Schulhoff verlor seine Arbeitsmöglichkeiten. Unter größten finanziellen Schwierigkeiten lebte er in Prag. Die politische Situation schätzte er völlig falsch ein. Obwohl Freunde ihm dringend zur Emigration rieten, bemühte er sich erst spät um die sowjetische Staatsbürgerschaft, die er im April 1941 erhielt. Als er nach zwei weiteren Monaten ein Visum für die Reise in die Sowjetunion bekam, bestand noch die Chance zur Emigration; der russische Konsul drängte zur Eile, Schulhoff sollte so schnell wie möglich ausreisen. Das war am 13. Juni 1941. Am 22. Juni überfiel Hitlerdeutschland die Sowjetunion. Schulhoff saß in Prag in der Falle. Nur einen Tag später wurde er verhaftet. Nicht als Jude, sondern als Sowjetbürger. Bis zum Herbst 1941 blieb er, gemeinsam mit seinem Sohn Peter in Prag in Gefangenschaft, dann wurden sie mit anderen deportiert. Als Ausländer kam er nicht nach Theresienstadt, wie viele andere jüdische tschechische Künstler und Komponisten, sondern in das Internierungslager auf der Festung Wülzburg.

Schulhoff kam in schlechtem Gesundheitszustand in das Internierungslager. Unter den schwierigen Bedingungen des Lageralltags begann er mit der Komposition seiner 8. Symphonie, die im letzten Satz abbricht. Gesundheitlich war er den harten Bedingungen des Gefangenenlebens nicht gewachsen. Erwin Schulhoff starb am 28. August 1942 an Tuberkulose im Alter von 48 Jahren.

Er hinterließ ein umfangreiches Werk: Viele Kompositionen für Klavier, Streichquartette, Kammermusik für unterschiedliche Besetzungen, Konzerte, Sinfonien, Lieder, eine Oper, Ballettmusiken. Mitte der 1980er Jahre, als man die Musik wiederentdeckte, die die Nationalsozialisten als "entartet" bezeichnet hatten, begann die Renaissance des Komponisten Erwin Schulhoff.

© MAS  * * *  Siehe auch: Schulhoffs Duo in Schloss Dachau


Quellen:

Josef Bek: Erwin Schulhoff. Hamburg 1994.

Mira Alexandra Schnoor: Es geschah auf der Wülzburg. Geschichte einer Festung und der Menschen, denen sie zum Gefängnis wurde.  München: Bayerischer Rundfunk, 2003.